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Der Blog der Pohltherapie®

Seltsamer Fall von „Muskelrattern“

Seltsamer Fall von „Muskelrattern“

Ein junger IT-ler Mitte 20 klagte über seltsame Beschwerden: eine eigenartige Form von Muskelrattern, Muskelzittern, am ganzen Körper vor allem beim Bewegen. Wenn er z. B. den Arm nach hinten bewege, rattere es im Oberarm und auf der Schulter hinten, berichtete er. Wenn er die Treppe runterginge, würden die Muskeln in den Oberschenkeln rattern, beschrieb er das Problem weiter.

Er hatte seit einem Jahr schon einen Ärztemarathon hinter sich: praktische Ärzte, Orthopäden, Sportmediziner, Internisten, Neurologen etc. Keiner konnte diese Beschwerden einem bekannten Krankheitsbild zuordnen. Ihm wurde immer wieder bescheinigt, er sei völlig gesund. Da er außerdem schon öfter Panikattacken hatte und unter einem ebenfalls nicht näher diagnostizierbaren Schwindel, einem Kloß im Hals sowie Bauchschmerzen litt, war die Ultima Ratio schließlich: „Es ist psychisch!“

Er selbst fühlte aber ganz genau, dass sein Muskelrattern körperlich war und dass er das Muskelzittern auch durch körperliche Aktionen auslösen konnte. Es machte ihn rasend, dass seine Beschwerden bei jeder Bewegung wieder einsetzten. Außerdem fühlte er sich insgesamt trotz seiner vielfältigen Fitness-Bemühungen „angestrengt, steif und schwach“. Und er konnte seine diversen Sportarten nicht mehr richtig ausüben, hatte schon an Muskelmasse verloren.

Er war sehr verzweifelt.

Ich ließ mir das seltsame Muskelrattern vorführen. Tatsächlich, wenn er den Arm nach hinten bewegte, sah man auf dem Schulterblatt und der Schulter oben sowie am oberen Oberarm hinten ein seltsames Zucken/Vibrieren unter Haut. Es ging mir wie den Ärzten: So etwas hatte ich noch nie gesehen! Was mir aber auffiel: Die Armbewegung wirkte seltsam angestrengt, als müsste er gegen einen Widerstand angehen. Alle seine Bewegungen wirkten so: mühsam und angestrengt. Er konnte den Arm nicht einfach mal locker-leicht nach hinten bewegen.

Die Untersuchung ohne Geräte, mit Augen und Händen

schultern vorne   schultern hinten

Ich untersuchte ihn. Beim Anfassen stellte sich heraus: Alles an dem Mann war fest, wohin man auch fasste. Alle Muskeln waren hart: ob Rücken oder Bauch, ob Brust oder Hintern, ob Arme oder Beine. Ein Wunder, dass er sich überhaupt bewegen konnte.

Beim Anschauen wirkte er überaufgerichtet, der Rücken im Hohlkreuz, die Knie durchgedrückt, der Brustkorb rausgestreckt, in Einatemstellung fixiert und damit unbeweglich, d. h. der Brustkorb bewegte sich bei der Atmung überhaupt nicht. Auch im Bauch war kaum eine Atembewegung sichtbar, – denn auch der war fest und in Ausatemstellung fixiert, eingezogen. Das gab schon einen Hinweis darauf, woher die Schwäche des jungen Patienten kam: Der große, stämmige Mann atmete wie ein Vögelchen.

Seine Arme standen seitlich ab, d.h. die Schultern waren zurückgezogen, die Schulterblätter eng zusammen. Die Schultern selbst waren nicht breit, eher eng, trotz allen Muskelaufbaus. Da wusste ich: „Aha, er ist eigentlich nach vorn gebeugt, die Schultern vor.“ Dann hatte er Gegenmaßnahmen ergriffen. Er hatte sich überaufgerichtet und die Schultern zurückgezogen, den Bauch eingezogen. Er bestätigte das. Dieses Muster verursacht leicht Bauchschmerzen und Schmerzen zwischen den Schulterblättern.

Was war die Ursache?

Ich begann, an Bauch, Brustkorb und Schultern die Muskeln sowie vor allem das Haut-Bindegewebe etwas zu lockern. Es ging erstaunlich gut. Währenddessen befragte ich den Patienten, wie dieser extrem harte Zustand denn zustande gekommen war.

Es stellte sich heraus: Er sei von Haus aus eher schmächtig und nach vorn zusammengekrümmt und ängstlich gewesen, habe sich im Vergleich zu anderen Männern so mickrig gefühlt. Deswegen habe er begonnen, sehr viel Kraftsport, Fitness, Bodybuilding, Boxtraining usw. zu absolvieren, jeden Tag ein paar Stunden lang. Dabei hatte er es besonders gut machen wollen, indem er immer in Superspannung gegangen war und diese möglichst lang gehalten hatte. Beim Boxtraining z. B. hatte er jede angespannte Position immer 5 Minuten lang gehalten. Er hatte gedacht, je mehr, desto besser.
Und: Je härter der Muskel, desto stärker.

Was half: Aufklärung über Muskel-Funktionen

b2ap3 large bizeps trizeps agonist antagonistBizeps und Trizeps abwechselnd
als Agonist und Antagonist
Leider hatte man ihm im Fitnessstudio nicht erklärt, dass Härte nicht gleich Stärke ist und dass jeder Muskel nur in der Bewegung stark ist. Bewegung aber ist das Abwechseln von Anspannung und Entspannung, jeweils zwischen Agonisten und Antagonisten. Wenn man einen Muskel, z. B. den Bizeps, anspannen will, verkürzen will, muss sich mindestens ein Gegenspieler (hier der Trizeps) verlängern, nachgeben.

Ohne das Nachgeben des Antagonisten keine Bewegung, keine Kraft. Ganz schlimm wirds, wenn man Agonisten und Antagonisten gleichzeitig anspannt und angespannt hält. Das ergibt eine absolute Versteifung. Man ist dann in seine Muskeln eingemauert, – das war bei dem jungen Mann der Fall. Er war steif wie ein 80-Jähriger und kam sich auch so vor.

By the way: Auch im höheren Alter braucht man nicht so steif zu werden. Ich bin 77 und weitaus beweglicher als der junge Mann damals.

Um Kraft auszuüben, ist das Auftrainieren einzelner Muskeln generell völlig ungeeignet! Kraft kann man am besten mit dem Ganzkörpereinsatz ausüben: Man braucht die großen Hebel sowie die starken Rumpf- und Bein-Muskeln.

b2ap3 large Skizze SpeerwerferAbb. aus Tittel, Kurt: Beschreibende und Funktionelle Anatomie des Menschen. 14. Aufl. Urban u. FischerHier zum Beispiel ein Speerwerfer:
Man sieht: Der Arm oder gar der vieltrainierte Bizeps haben nur einen winzigen Kraft-Beitrag. Deswegen übt man Speerwerfen am besten, indem man Speerwerfen übt. Man trainiert das ganze Ensemble.

Die Behandlung mit Pohltherapie®

All das erklärte ich dem jungen Mann und behandelte ihm gleichzeitig auch noch seine Angstzustände, seinen Schwindel und sein Bauchweh.

Das Wichtigste aber war, dass er lernte, sich ohne unnötiges Zuviel an Anstrengung zu bewegen. Das fing an mit einem ultraleichten Zurückschwingen des Armes, ein paar kleine Zentimeter, nur, was ganz leicht ging. Dann kamen Feldenkrais-Übungen, die man sich zum Teil nur vorstellt, nicht einmal ausübt. Anschließend die sensomotorischen Übungen der Pohltherapie.

Der Patient lernte sehr schnell. Mit der Zeit ging das rätselhafte Muskelrattern weg und er bewegte sich im Alltag wieder normal, mit Leichtigkeit und Freude. Er ging auch wieder ins Fitnessstudio, diesmal an Ganzkörpergeräte: Crosstrainer, Laufband, Rudergerät u. a.

Was Sie tun können

Wenn Sie auch Probleme mit, durch, wegen oder trotz Ihres Sports beim Bewegen haben oder wegen Ihrer Beschwerden Ihren geliebten Sport gar nicht ausüben können: Wenden Sie sich an eine/n der Pohltherapeut*innen in Ihrer Nähe. Ein Therapeutenverzeichnis finden Sie hier.

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